Matthias Heitmann  Klartext

Q – Queen Mom, Quoten, Quarantäne!

- Plädoyer für eine Monarchie


Isse nich süß? Selbst mir als kritischem, investigativem Klatsch- und Qualitätsreporter ging der 100. Geburtstag der kleinen alten Dame ans Herzchen. Nach der Königin der Herzen nun die Queen Mom der Herzschrittmacher. So leicht wie in unserer Zeit hatten es Monarchen wohl noch nie, populär zu sein: Es reicht aus, am Leben zu bleiben, viel erlebt zu haben, den Tag mit Gin zu beginnen und geschmacklose Hüte und Krücken zu tragen, um Hunderttausenden in aller Welt die Tränen der Rührung ins Gesicht zu treiben.


Was hier auf Wiederauferstehung der Windsors gefeiert wurde, ist aber eigentlich ihr Untergang: Um im Geschäft zu bleiben, müssen sie ständig neue Storys und individuelle Schicksale produzieren, die uns emotional rühren und benebeln. Das ist ihr Job. Den lassen sie sich zwar gut bezahlen, aber dennoch geht ihnen allmählich die Puste aus. Da davon ausgegangen werden muss, dass Queen Mom das Ende des 21. Jahrhunderts nicht mehr erleben wird, es kurzfristig nicht gelingen wird, Diana zu klonen oder Charles mit einer Ausstrahlung auszustatten und irgendwann auch alle blaublütigen Ehen mindestens einmal geschieden und alle anderen Partnerkonstellationen durchprobiert sein werden, wird die publikumswirksame königliche Personaldecke langsam dünn.


Um ihr Profil in Klatschkreisen aufrecht zu erhalten, sind die Windsors schon jetzt gezwungen, sich dem verhassten Zeitgeist anzupassen. Das fällt ihnen zwar nicht schwer, denn was das akklamierende Volk wünscht, sind Schwächlinge, Opfer und öffentlich Leidende, und von denen gibt es bei den Windsors genug, dennoch untergräbt das Herablassen auf dieses Niveau das royale Moment - schön heute ähnelt die königliche Familie einer Mischung aus schlechter Pop-Gruppe und Big-Brother-WG.


Das wird schlimmer werden. Prinz William zeigt uns heute schon, welche Art von britischer Monarchenkaste in Zukunft unsere Bildschirme bevölkern wird: Das Volk erfährt, dass auch Prinzen onanieren, und wenn sie dazu Poster von Britney Spears benutzen, macht sie das populär und zu Kinderstars. Brot und Spiele. Das Problem der Royals: „Little sexy Willie“ muss Zeit seines Lebens dieses Profi aufrechterhalten und dennoch halbwegs die Form wahren. Einem echten Popstar kann es nutzen, mit 30 sein „Coming Out“ öffentlich zu feiern, für einen Prinzen bedeutet es allerdings das Ende der Karriere - zumindest, solange Queen Mom und ihre „stiffe“ Tochter Elsbeth das Zepter schwingen.


Sollte deren Zeit tatsächlich eines Tages abgelaufen sein, werden voraussichtlich alle Dämme brechen und die öffentlichen Anforderungen an die moderne Königsfamilie das Leben im Buckingham Palace endgültig zu einer britischen Daily-Soap umwandeln, von deren Machart und Einschaltquoten unser Ernst-August nur träumen kann.


Den Seifenmonarchen der Zukunft bleibt nur die Flucht nach vorn: Wenn es ihnen gelingt, Popstars zu werden und das Herz des Volkes anzurühren, wird ihre Abschaffung auf ewig verschoben. Sie werden als endgültig unpolitische und traditionslose Volksbelustigung jeden Makel arroganter, überholter gesellschaftlicher Institutionen verlieren. Eine sichere Basis für den Fortbestand der britischen Monarchie ist dies jedoch nicht: Denn urplötzlich werden die Kitschkönige das, was sie niemals sein wollten: wähl- und abwählbar. Wenn die Quoten eines Tages nicht mehr stimmen und der Zuschauer die Königskinder einfach wegzappt, droht den Telemonarchen eine Absetzung der modernen Art.


Eingefleischten Antimonarchisten wie mir bleibt da nur - so absurd es klingen mag -, den alten Zeiten zu huldigen, als Könige wenigstens noch Könige waren, und Queen Mom noch ein langes Leben zu wünschen.


(Novo48, September 2000)