Matthias Heitmann  Klartext

S – Schlammschlacht unter Scheinheiligen

- Joschka Fischers Jugend


Wer die letzten 18 Ausgaben von NOVO intensiv von vorne bis hinten studiert hat, dem ist bestimmt aufgefallen, dass mein Politisches Wörterbuch nicht gerade durch seinen zimperlichen Umgang mit unserem jetzigen Bundesaußenminister Joseph Fischer auffällt. Allzu oft wurden politische Trends anhand seiner schillernden Person beschrieben. Gut kam er dabei eigentlich nie weg.


Ausschlaggebend hierfür waren ausschließlich „politische“ Gründe. Obwohl es durchaus auch private gäbe: Zum Beispiel die Tatsache, dass Joschka Fischer mich 1988 im Frankfurter Stadtteil Bockenheim mit dem Fahrrad fast über den Haufen gefahren hat! Schon seit jenem denkwürdigen Sommertag zweifle ich daran, dass die pazifistische Grundausrichtung der GRÜNEN mit der Forderung nach autofreien Innenstädten und dem Vorrang für Fahrradfahrer vereinbar ist. Aber seitdem der grüne Pazifismus ad acta gelegt wurde, ist dies ja auch kein Thema mehr. Also lassen wir das.


Nun, zur 50. Ausgabe von NOVO, muss ich jedoch mit einer Tradition brechen: Es ist an der Zeit, eine Lanze für Joschka zu brechen!


„Von Joschka Fischer verprügelt!“ Schlagzeilen wie diese und die dazu gehörigen Fotobelege verdunkeln seit einiger Zeit den grünen Horizont und legen das Gesicht des erfolgreichsten GRÜNEN in noch tiefere Falten. Seine Vergangenheit hat ihn eingeholt! Plötzlich sieht man den stets eloquent gekleideten Minister herumdrucksen und sich dafür entschuldigen, dass er vor 18 Jahren einen Polizisten verprügelt haben soll. Endlich geht’s ihm an den Kragen, müsste sich mein Herzchen sagen und ein wenig höher schlagen: Tut es aber nicht, eher fühlt sich meine Kehle seltsam zugeschnürt an. Ich mag es kaum zugeben, aber der Mann tut mir leid!


Über 15 Jahre lang hat Fischer es erfolgreich verstanden, jeden Zweifel an seiner Staatstreue auszuräumen. Er zwar zweimal Minister in Hessen, hat die friedensbewegten GRÜNEN auf Realo-, Koalitions- und letztlich auch auf Nato-Kurs gebracht, er hat den Serben das Fürchten gelehrt und sich nach seinem langen Lauf zu sich selbst zum populärsten Mitglied der Schröder-Regierung gemausert. Und nun soll ihm ausgerechnet sein „Verdienst“, die politische Resozialisierung der 68er, zum Verhängnis werden?


Unklar ist, was an Fischer eigentlich kritisiert wird: Ist es die Tatsache, dass er eine politische Vergangenheit hat? Dass er sich verändert hat? Dass er früher ungepflegter war als heute? Passt es seinen Kritikern nicht, dass ausgerechnet er scheinbar heute so tadellose Politik betreibt und keine Angriffsflächen bietet? Oder ist man einfach nur neidisch darauf, dass Fischer einmal so etwas hatte, was man „politische Überzeugungen“ nannte?


Von allem wohl etwas. Auf jeden Fall fordern einige CDU-Vertreter Fischers Rücktritt. Das Ironische daran: Gleichzeitig versuchte sich ein wesentlich blasserer Herr aus der CDU – Friedrich Merz heißt er – in Ermangelung eigener Ausstrahlung und Vergangenheit eine solche zu stricken. Kürzlich „outete“ sich der Oppositionsführer und CDU-Hoffnungsträger im Deutschen Bundestag als einer, der früher „ein ganz Wilder“ gewesen sein will. Das Problem ist nur: Es gibt dafür keine Fotobeweise, und auch Bekannte von einst erinnern sich immer nur an einen zutiefst verbiederten kleinen Friedrich, dem schon Schwarzfahren und Nasebohren als ein vorrevolutionären Akt zuwider war. Es ist schon seltsam: Die einen haben eine Vergangenheit und werden dafür kritisiert, die anderen hätten gerne eine!


Joschka Fischer hat ein Problem. Er hat Feinde, denen es an Argumenten sowie an scharfer Munition fehlt und denen nichts anderes einfällt, als mit Dreck um sich zu werfen. Darum ist er nicht zu beneiden. Es gäbe ca. 2000 aktuelle Gründe, Joschka Fischer aus dem Amt zu jagen, seine Vergangenheit ist der denkbar schlechteste!


Wer wirklich gute Gründe sucht, um Joschka Fischer abzuschießen, dem seien hier als Einstieg vier genannt:


Erstens: Joschka Fischer ist führendes Mitglied von Bündnis 90/Die GRÜNEN, einer Partei, die der Entmündigung und ökologischen Bevormundung der Menschen das Wort redet.


Zweitens: Joschka Fischer hat als Bundesaußenminister den Nato-Angriffskrieg gegen Jugoslawien und somit den Tod tausender Zivilisten mit zu verantworten. Was ist dagegen schon ein Faustschlag gegen einen deutschen Polizisten?


Drittens: Joschka Fischer verwechselt Joggen vor laufenden Kameras mit Bürgernähe.


Viertens: Joschka Fischer spielt den Totengräber der 68er und vermarktet den Verlust sämtlicher fortschrittlicher Überzeugungen als „Lauf zu ihm selbst“.


Und wem das immer noch nicht reicht: Joschka Fischer kann nicht Fahrradfahren!


(Novo50/51, Januar 2001)