Matthias Heitmann  Klartext

T – Taliban

- Buddha-Bum-Bum – Aufstieg an die Spitze der Schurkenliga


Das Böse scheint endlich einen neuen glaubwürdigen Namen gefunden zu haben: Taliban. Und die afghanischen Koranschüler haben gute Chancen, den altgedienten Top-Scorern unter den „Schurkenstaaten“ den Rang abzulaufen. Es wurde auch Zeit. Neue Gesichter braucht das Feindbild.


Bis vor kurzem war die Lage düster. Saddam, seit 1990 unangefochtener Publikumsliebling der Schurkenliga, ist ausgepowert, nichts ist geblieben von seinem alten Glanz, seiner alten Stärke: Sogar die Hungersnöte, für die er bislang im Irak verantwortlich gemacht wurde, sind ihm aus der Hand geglitten und werden offiziell von den Vereinten Nationen koordiniert und krampfhaft aufrechterhalten. Und einfach nur alle paar Monate drohend den Zeigefinger gen Westen zu richten, zwei Panzer über einen Feldweg fahren zu lassen und mit Dart-Pfeilen die Flugverbotszone zu verletzen, reicht eben nicht aus, um als Schurkenkönig auch in Zukunft weltweiten Ruhm zu genießen.


Auch Milosevic ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Anstatt sich mit seinem groß angekündigten Selbstmord auf der Schurkenrangliste zu verewigen, ist er mit wehenden weißen Fahnen in den Belgrader Untersuchungsknast eingezogen, und nun harrt er darauf, dass ihm das Weltgericht die Lizenz zum Weiterspielen auf Lebenszeit entzieht. Jugoslawien hat seinen Platz in der Weltspitze endgültig eingebüßt.


Selbst um die iranischen Mullahs ist es in letzter Zeit ruhig geworden. Dem verwöhnten Weltpublikum genügt es nicht, ab und an ein paar gottlose Köpfe rollen zu sehen. Zu groß sind die mannschaftsinternen Streitigkeiten, als dass hier Bedrohungsgefühle entfacht werden könnten. Als Feind, an dem man sich stoßen und reiben kann, bedarf es vor allem innerer Geschlossenheit.


Die Nachwuchsprobleme der Schurkenliga sind offensichtlich. Vor allem in der Aufbauarbeit ist in den letzten Jahren enorm geschlampt worden. Keine Jungtalente in Sicht. Für kurze Zeit sah zwar es so aus, als ob Indien und Pakistan die Feindbildlücke füllen könnten. Aber die Herausbildung atomarer Höchstleistungen ließ zu wünschen übrig. Wer sein Gefahrenpotenzial nicht schnell entwickelt, hat keine Chance, sich als Star durchzusetzen. Die Gelegenheit zur Aufnahme in die oberste Schurkenliga verpasst haben auch die Chinesen. Wer die einmalige Gelegenheit, amerikanische Spione auf lange Sicht festzuhalten und zu foltern, ungenutzt verstreichen lässt, braucht an Ruhm und Ehr nicht zu denken. Auch andere Hoffnungsträger der letzten Jahre sind wieder in der Versenkung verschwunden. Ruanda und Somalia waren genauso nur Buschfeuer wie Haiti oder Kolumbien.


Die Lage war so verfahren, dass für kurze Zeit sogar das kleine und unbeholfene Österreich die vakante Position des „agent provocateur“ übernehmen musste, freilich ohne sich langfristig durchsetzen zu können. Selbst Deutschland bemühte sich, dem Ganzen neues Leben einzuhauchen. Freilich vergeblich: Recht schnell begriff die Welt, dass das angestrebte NPD-Verbot nur ein verlogener Versuch war, „Gefahr im Verzug“ vorzutäuschen. Auch die britischen Anstrengungen, zuerst mit BSE, und als dies nicht zog, mit MKS das Feld von hinten aufzurollen, waren nicht von Erfolg gekrönt.


Doch nun gibt es wieder Hoffnung. In geradezu naivem Sturm und Drang machen sich die von den USA und Pakistan hochgepäppelten Taliban daran, zu Shootingstars der Schurkenwelt aufzusteigen. Ihr Erfolgsrezept: Eine Mischung aus Altbewährtem und Neuem. Da werden nicht nur die anerkannten und erfolgsträchtigen Register des islamischen Fundamentalismus gezogen, sondern auch neue Techniken angewandt, die den heutigen Zeiten entsprechen. Vorbei sind die trögen Zeiten, in denen westliche Kommentatoren nur mit Menschenrechtsverletzungen und Völkermorden für Einmischung werben konnten, was inzwischen kaum noch jemanden hinterm Ofen hervorkriechen lässt.


Die Taliban haben eine Methode entwickelt, mit der sie, ohne Blut zu vergießen und fremde Völker zu gefährden, die Welt in ihrer ganzen Zivilität herausfordern: Sie nehmen das so genannte „Weltkulturerbe“ ins Visier. Eine sehr effektive Maßnahme: Einfach ein paar steinerne Buddahs pulverisieren, und schon steht die Welt kopf. Das Ganze gepaart mit einer gehörigen Portion Frauenunterdrückung und Respektlosigkeit, was die universelle Gültigkeit westlicher Moralvorstellungen angeht, und schon wird man über Nacht berühmt.


Für Feindbildsüchtige ergeben sich zudem neue Möglichkeiten der Inszenierung. „Kultureller Interventionismus“ könnte zu einem neuen Schlagwort werden, der nicht mehr der unglaubwürdigen Menschenrechtsrhetorik bedarf, sondern an einfachste Wohlfühltriebe appelliert. Ist es nicht fürchterlich, wenn im fernen Afghanistan uralte Götzenbilder vernichtet werden? Das versammelt auch die Kultur-Intelligentzia vor den Bildschirmen, Leute, die auf die Idee, Menschenrechte weltweit durchsetzen zu wollen, schon abgestumpft reagieren. Wenn die Welt schon ungerecht ist, schön soll sie zumindest bleiben.


Momentan schwimmen die Taliban auf der Woge des Erfolgs. Aber natürlich kann auch diese Methode nicht ewigen Erfolg garantieren. In einigen Jahren wird den ewigen Nörglern mit Sicherheit aufgefallen sein, dass sich die westliche Allianz schon seit Jahren am Weltkulturerbe vergeht und ohne mit der Wimper zu zucken historisch und zivilisatorisch einmalige Landstriche wie den Irak im Schutt und Asche legt. Aber bis dahin werden noch einige Interventionen ins Land gezogen sein. Die Spiele können also weitergehen.


(Novo52, Mai 2001)