Matthias Heitmann  Klartext

W – Witzemachen und Weiterrauchen für den Weltfrieden


Witze reißen über das World Trade Center? Pfui! Auch nicht den mit der Frage nach dem Verlierer der Schachpartie zwischen den USA und Afghanistan, der mit der Antwort „Die USA – die spielen ohne Türme“ endet? Nein, auch den nicht.


Wem hier auch nur nach Schmunzeln zumute ist, der ist in den Augen von Peter Scholl-Latour ein „Gedankenterrorist“. Der alte Haudegen, dessen Berichterstattungen bereits von Moral und der Angst des weißen Mannes vor den bösen Barbaren getränkt waren, als die heutigen Medienmoralisten noch auf den Straßen gegen Vietnam und Spießer-Presse demonstrierten, hat früh reagiert. So früh, dass man meinen könnte, er habe bereits seit Jahren auf genau diesen Zeitpunkt gewartet: Kaum waren die Türme in den Straßen New Yorks angekommen, beschwor er, seit jeher spaßfrei, da schon immer die Gefährlichkeit des Islamismus an jede sich bietenden Wand malend, sendend, schreibend, frohlockend „das Ende der Spaßgesellschaft“.


Natürlich denkt man da spontan: Wurde auch Zeit. Stefan Raab, Harald Schmidt & Konsorten hätten schon früher einfach mal für längere Zeit abtauchen können. Mit Spaß hat deutsche Comedy ohnehin nur in Ausnahmefällen zu tun, eher mit Häme und Gegähne. Eine Pause tut gut. Die Frage ist nur: Mussten dafür erst Wolkenkratzer in Schutt und Asche gelegt werden?


Doch Scholl-Latour lag, wie so oft, daneben. Wigald Boning drehte den Spieß herum und feierte sein fortgesetztes Ulkigsein als Akt der Verteidigung der westlichen freiheitlichen Zivilisation. Da mag mancher tatsächlich lieber ernst bleiben und weitertrauern. Wenn aber andererseits Jürgen von der Lippe den Scholl-Latour der Komödianten mimt und postuliert, wir bräuchten die Unterhaltung „jetzt so dringend wie der Schwimmer den Beckenrand“, dann fällt es wirklich nicht leicht festzustellen, wer von beiden nun den größeren Dachschaden hat. Jedenfalls sollte man von der Lippe nicht aufhalten: Wenn er denkt, er werde nicht mehr gebraucht, egal warum, dann sollten wir ihn ziehen lassen. Am besten mit Boning im Schlepptau.


Die Einen sagen also, wir sollten weiterlachen, da sonst der Terror gegen die Freiheit obsiegt. Die Anderen sagen, wir sollten aufhören zu lachen, da sonst der Terror gegen die Freiheit obsiegt. Ehrlich gesagt: Beide Alternativen sind alles andere als lustig, denn beide sagen im Endeffekt das Gleiche: Wir dürfen den unbedachten Freuden des Alltags auch in Zukunft nachgehen, nur halt nicht mehr so unbedacht. Halt irgendwie anders. Und vor allem: Nicht mehr einfach so! Lachen muss konstruktiv sein, muss „gut“ sein. Comedy als flächenbombardierendes Zeichensetzen an der heimatlichen Spaßfront.


Gabi Köster und Karl Dall nutzten die Gunst der Stunde, um das „Lachen als Waffe gegen den Terror“ neu zu erfinden. Ausgerechnet diese extremistisch weit von jeder Form zivilisierten Geschmacks entfernt operierende Spaßterroristen-Einheit, bei der inzwischen selbst dem wahllosesten Gut-Gelaunt-Menschen das Lachen im Halse stecken bleibt, erklärt sich zu Speerspitze der neuen kalauernden Anti-Terror-Front – es ist zum Heulen. Dass sich Comic-Zeichner Walter Moers auf das selbe Niveau begab und vorschlug, eine „humoristische Anti-Terror-Truppe“ auszubilden, hilft nicht beim Tränentrocknen. Man fragt sich , ob der Markenzusatz „kleines“ bei seiner Beschimpfung als „Arschloch“ noch gerechtfertigt ist.


Wenn sich also Katastrophenexperte Ingo Unter-der-Gürtellinie Appelt öffentlich fragt, wie wohl die Stewardess beim Borden auf seinen Wunsch „Einmal 35. Stock bitte!“ reagiert, dann muss er demnächst mit Luftangriffen der selbsternannten Comedy-Task-Force rechnen. Jürgen, äh, Peter Scholl-Latour würde sagen: Wer hier lacht oder zum Lachen anstachelt, ist ein geistiger Flugzeugentführer. Wer solche Spaßmacher hat, braucht keine Zensur im Zivilisations- und Freiheitskampf.


Weniger zivilisations- und freiheitsfeindlich ist es hingegen, sich angesichts des Medienterrors eine Zigarette anzuzünden und damit 2 Cents in die Anti-Terror-Kasse der Bundesregierung zu blasen. Raucher sind im Aufwind. Und im Recht: Rauchen gefährdet zwar ihre Gesundheit, aber das tun Kriegseinsätze auch, und dennoch gibt es ja auch hierzu, wie wir alle wissen, keine Alternative. Also: Weiterrauchen für den Weltfrieden. Give Piece a Chance! Für mich persönlich gab es selten einen besseren Grund, endlich die Finger vom Glimmstängel zu lassen.


A propos Grund: Keiner hat momentan einen besseren zum Lachen als Rudolf Scharping. Eigentlich war der 11. September für seinen Abgang reserviert. Nun darf er weiter stieren und lächeln in der ihm eigenen Art und Weise: moralisierend hetzerisch, fanatisch und zugleich irgendwie geistig tieffliegend, wie es die Bundeswehr nun einmal braucht. Vergessen sind die Planschefotos. Herbert Grönemeyer, die musizierende Biowaffe der 80er-Jahre, sang einmal in einem ähnlichen Anflug von Verliebtheit „Flugzeuge im Bauch“. Dürfte er jetzt auch nicht mehr, der alte Schläfer.


(Novo55/56, November 2001)