Matthias Heitmann  Klartext

X – Xtremisten und X-Akten

- Einblicke in reale Schwerhörungstheorien


Nicht nur der heuer zu analysierende Buchstabe „X“ gibt Anlass, einmal Xtrem kreativ und über so manch erstaunliche Vorgänge kreuz-und-querzudenken. Immerhin steht „X“ ja für das Unbekannte, das Außergewöhnliche. Und davon, so versprechen die letzten Wochen, scheint es im ersten Jahr, in dem „nichts mehr so sein wird, wie es war“, genügend zu geben. Jetzt soll ja alles außergewöhnlich sein. Und wer die Zeitungen querliest oder den Fernseher schräg stellt, der merkt das auch, dem fallen selbst einige seltsame Fragen auf, denen sich einige seltsame Antworten aufdrängen. Ich habe da so meine Vermutungen; ich nenne sie „Schwerhörungs-Theorien“. Beispiele gefällig?


Beispiel 1: Haben Sie sich schon einmal gefragt, was Innenminister Schily gemacht hätte, wenn es die NPD gar nicht gäbe? Wahrscheinlich hätte er sie erfinden müssen. Wahrscheinlich ist man aber in seinem Ministerium sogar einen Schritt weiter gegangen. Wahrscheinlich hat man dort vor Jahren den Laden nicht nur erfunden, sondern auch aktiv gegründet. Wie anders wäre es sonst zu erklären, dass die einzig bekannten Parteifunktionäre allesamt V-Männer sind? Eigentlich verbietet sich ja das Wort „Funktionär“, weder werden dort Funktionen ausgeführt, noch gibt es etwas, was funktionieren könnte. Aber zurück zur Frage: Können Sie mir einen einzigen NPD-Funktionär nennen, von dem Sie heute noch sicher sagen können, dass er nicht mit dem Makel belastet ist, ein Schily-Spitzel zu sein? Und bedenken Sie, bevor Sie vorschnell antworten: Selbst Klaus Schlappner, ehemaliger Bundesligatrainer und in den 60er-Jahren aufrechter NPD-Parteikandidat, bringt heute Bimbos und Schlitzis in der Dritten Welt das Kicken bei. Kann ja wohl alles nicht sein, oder?


Beispiel 2: Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum die Bundesregierung Angst hatte, die Bundesbürger würden den Euro nicht „annehmen“? Bislang war ich immer davon ausgegangen, dass man Geld grundsätzlich annimmt, egal, von wo es kommt. Warum also die Sorge, wir nähmen es nicht an? Meine Vermutung ist ja, dass der Euro gar kein Geld ist, sondern eher ein überflüssiges D-Markenprodukt, von dem unklar war, ob die Leute es konsumieren würden. Daher auch der Zwangsumtausch: Wer was freiwillig haben will, kauft es sich, oder nicht? Wenn etwas nicht gekauft wird, dann muss es zwangseingeführt werden. Oder warum wurde Ihrer Meinung nach die Euro-Einführung ausgerechnet auf Silvester gelegt? Ist doch klar: Nur so konnte man am nächsten Tag stolz berichten, Hunderttausende hätten den Euro gefeiert. Dabei haben sie nur aufs neue Jahr angestoßen. Die einzige Alternative wäre Ostern gewesen: Die Suche nach frischen Eier(männer)n war aber wohl ein zu mark–iger Werbeslogan. Oder anders gefragt: Wie erklären Sie sich das große Medieninteresse der ersten Januartage, als wildfremde Menschen, die normalerweise in Geldangelegenheiten nie zu Rate gezogen werden, an Bankautomaten von unzähligen rasenden Reportern gefragt wurden, wie sie den Euro fänden? So fragt doch niemand nach Geld! Und seit wann antworten Menschen auf eine Frage nach Geld mit „gut“ „hübsch“, „zu bunt“ oder „zu klein“, und nicht mit „zu wenig“ oder „Hier, nimm“? Um Geld kann es da nicht gegangen sein.


Beispiel 3: Haben Sie sich schon einmal gefragt, was Arbeitsämter vermitteln? Arbeitsplätze an Arbeitslose und umgekehrt ja kaum, diese X-Akte ist ja nun abgelegt worden. Berufsskeptiker wie ich haben das ja nie geglaubt. Aber was tun sie dann? Meine Vermutung ist ja, dass Arbeitsämter in erster Linie Eindrücke vermitteln. Den Eindruck zum Beispiel, dass derjenige, der trotz der hervorragenden Vermittlungsstatistiken mehrmals erfolglos beim Arbeitsamt vorspricht, unvermittelbar und damit unmittelbar mittellos, unverantwortlich und verantwortlich für den eigenen Untergang ist. Dieser Eindruck hinterlässt Spuren, vor allem bei den Eingedrückten. Das Arbeitsamt wirkt weitgehend therapeutisch: als Selbstachtungs-Entziehungskurort.


Beispiel 4: Haben Sie sich schon einmal gefragt, wen die USA auf ihrem Militärstützpunkt Guantamo Bay in Kuba eigentlich gefangen halten? Kriegsgefangene sind es nicht. Für die würde ja die Genfer Konvention gelten. Tut sie aber nicht. Verbrecher sind es auch nicht, die haben ja das Recht auf einen Anwalt. Sie sind aber auch keine Legehennen. Für die gilt Käfighaltung als nicht artgerecht. Nicht böser Mensch, nicht Tier. Mein Verdacht ist ja, dass die amerikanische Regierung in den Taliban das Werkzeug außerirdischer Invasoren sieht und diese somit nicht unter das „Menschen- und Tierrecht“ fallen. Oder wie erklären Sie sich, dass George W. Bush wegen vier Flugzeugentführungen ein globales Raketenabwehrsystem errichten will? Glauben Sie und er gemeinsam wirklich, dass ihn das auch gegen querverschluckte Bioterror-Brezeln schützt?


Sie haben auch schräge Fragen und quere Antworten darauf? Schreiben Sie mir.


(Novo57, März 2002)