Matthias Heitmann  Klartext

Y – Das Y-Chromosom

- als Träger der echten Fußballwahrheit


Vor drei Jahren - also 1999 - besuchte ich das entscheidende Spiel um die deutsche Frauenfußballmeisterschaft zwischen dem 1.FFC Frankfurt und dem FCR Duisburg. Frankfurt ist eine Hochburg im deutschen Frauenfußball, aber ich ging gelangweilt nach Hause. Warum? Nein, es war nicht der Trikottausch, den ich vermisste. Das Spiel war einfach grottenschlecht, emotionslos, und vor allen Dingen: laaangsaaaam. 90 Minuten lang wartete ich auf das Ende der Zeitlupe.


Klar, könnte man argumentieren, die Spielerinnen sind keine Vollprofis. Kein Wunder, dass da kein Fußball der Extraklasse geboten wird. Aber das war nicht der einzige Grund für die gepflegte Langeweile. Schließlich wird man diesbezüglich ohnehin nicht verwöhnt, wenn man in Frankfurt lebt. Nein, ich kam mir eher vor wie bei einer großen Gartenparty: Die ca. 1000 in der Mehrzahl weiblichen Zuschauer hockten mehr zufällig neben dem Spielfeld in der Sonne, es wurde gepicknickt, gelacht, und nebenher warf frau sporadische Blicke auf das Geschehen vor Ort, das eigentlich Nebensache war. Dieses Zuschauerverhalten war dem Kick angemessen. Kein Vergleich zu dem Klima, das herrscht, wenn bei meinem Heimatverein, dem sechstklassigen 1.F.C. Rödelheim, der Platz umgepflügt wird: Hier wird gelitten, geschimpft und geflucht, auf und neben dem Platz, und am Ende gehen die 40 Zuschauer unzufrieden nach Hause, egal wie das Spiel war. Aber sie wissen wenigstens, wo sie waren.


Hatten die alten Gegner des Frauenfußballs also doch Recht? Ist „richtiger“ Fußball nichts für Frauen, weil zu brutal, zu körperbetont, zu hitzig? Schließlich hatte der DFB erst 1970 das Verbot des Frauenfußballs aufgehoben. Noch 1953 war in einer viel zitierten psychologischen Studie über Fußball zu lesen: „Das Treten ist wohl spezifisch männlich; ob darum Getretenwerden weiblich ist, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ist das Nichttreten weiblich.“


Keine Sorge, ich plädiere hier nicht für eine Wiederauflage des Verbots. Zumal des Psychologen Diagnose gänzlich falsch ist: Wer einmal mit (echten) Frauen Fußball gespielt hat, wird wissen, was ich meine. Mädchen und Frauen sollen ruhig kicken dürfen. Wer will, soll auch zusehen dürfen. Die Frage ist nur: Warum sollte man das tun?


Freunde und Experten in Sachen Frauenfußball scheinen gerade die alten, zugegebenermaßen chauvinistischen Erklärungen, warum Fußball nichts für Frauen sei, heute als die speziellen Tugenden des Frauenkickens zu feiern. Jürgen Krust, Trainer des Frauen-Bundesligaklubs FCR Duisburg, erklärte im letzten Sommer gegenüber der F.A.Z. die Eigenheiten des Frauenfußballs: „Bei uns heißt Fußballspiel noch Spiel, weil es ein Spiel ist. Bei den Männern dürfte es eigentlich nicht mehr Fußballspiel heißen, weil es doch mehr eine Kampfsportart geworden ist, die den Spielcharakter verloren hat.“ Frauenfußball sei, so fügte er hinzu, „genauso wenig mit Männerfußball zu vergleichen wie Männertennis mit Frauentennis“.


Über Tennis reden wir hier gar nicht erst. Als Fußballfan und Freizeitaktiver aber fragt man sich: Seit wann ist Fußball ein Spiel? Kann Fußball ohne Kampf existieren? Fußball besteht nicht nur aus Passen und Schießen – denn dazu braucht man den Ball. Wie aber soll man an den Ball kommen, wenn man ihn dem Gegner nicht unter körperlichem Einsatz abnimmt? Der italienische Nationaltrainer Giovanni Trappatoni hat einfach Recht: „Es gibt nur einen Ball. Wenn der Gegner ihn hat, muss man sich fragen: Warum!? Ja, warum? Und was muss man tun? Ihn sich wiederholen!“


Bei aller althergebachten Frauenfeindlichkeit scheint gerade die FIFA heutzutage eher die „feminine“ Spielvariante zu favorisieren: Denn in den letzten Jahren veränderte sie das Fußballregelwerk so, als könne man ohne robusten Körperkontakt und bedingungslosen Einsatz das Runde ins Eckige befördern. Angesichts dieser Regelveränderungen stellt sich die Frage, in welcher Galaxie Krust die Entwicklung des Männerfußballs zur Kampfsportart festgestellt haben will. Das Gegenteil ist der Fall! Die Feminisierung des Fußballs ist der beherrschende Trend. Keine übertriebenen, sprich „männlichen“ Emotionen auf dem Platz zu zeigen, Maß zu halten und den Fuß zurückzuziehen, weil es womöglich wehtun könnte: Das sind die neuen Werte auf dem Platz. Allein der Vorschlag, für ausgeprägtes „Fair Play“ Zusatzpunkte zu verteilen, ist ein Schlag ins Gesicht für jeden Fußballer, der etwas auf sich hält und gewinnen will.


Wenn Männerfußball mit Frauenfußball tatsächlich nicht zu vergleichen ist, dann kann man als Fußballfreund nur hoffen, dass dies auch noch lange so bleibt. Früher wurde der Frauenfußball abgelehnt, weil er ein Sport für „Mannsweiber“ sei. Heute müsste man die wachsende Bedeutung und Aufwertung des Frauenfußballs mit mindestens genauso viel Skepsis betrachten, weil sie einen kampfbetonten Mannschaftssport zu lust- und körperlosem Rasenschach degradiert. Wenn sich das durchsetzt, könnte zwar vielleicht Frankfurt schneller wieder zu einer festen Größe im Männerfußball werden, aber mal im Ernst: Wer will das schon sehen? Ich bevorzuge verrückte sowie schlamm- und blutverschmierte Y-Chromosomen-Träger den XX-beliebigen Ballrangiererinnen, auch wenn’s mal auf die (eigenen) Knochen geht.


Man kann dem Ball nichts Schlimmeres antun, als ihn auf ewig flach zu halten.


(Novo58/59, Mai 2002)