Matthias Heitmann  Klartext

"Bochum oder Bagdad?" (11/2002)

Keiner will ihm die Stange halten. Dabei ist Bernd Stange doch fest entschlossen, im Irak „zivilisatorisch“ tätig zu werden. Der 54-jährige Fußballlehrer will lieber junge Iraker zur Weltmeisterschaft 2006 nach Deutschland führen als sie in einem „aussichtslosen Kampf“ sterben sehen. Wäre doch schön, oder?


Während aber seine weltenbummelnden Kollegen wie Rudi Gutendorf als Exportschlager und Repräsentanten der deutschen Entwicklungshilfe für ihr Engagement auf den globalen Krisenherden (zuletzt in Ruanda) gefeiert werden und der kickende Friedensengel Holger Obermann nun gar das geschundene Afghanistan als Trainer wieder aufzubauen trachtet, schlugen über Stange die Wogen der Entrüstung zusammen. „Kollegen“ wie Peter „Lautsprecher" Neururer oder Rudi „Riese“ Völler hielten den Schritt des Ostdeutschen ins Zweistromland für falsch, frei nach dem Motto: Erst Bomben, später Bälle!


Der seinerzeit aus der DDR geflohene Jörg Berger sah sich gar in seiner Einschätzung bestätigt, das „Stasi-Spitzel“ Stange sei schon immer käuflich gewesen. Käuflichkeit – welch perfider Vorwurf gegen einen Profitrainer! Immerhin macht Stange den Gang in die Wüste ja nicht umsonst! Lediglich seine Frau will sich (unmoralischerweise sogar ehrenamtlich) als Krankenschwester betätigen.


Dass sich Stange zudem mit der Aussage „Ich bin Trainer und kein Politiker!“ zur Wehr zu setzen versucht, ist ebenso entzückend wie naiv. Er mag damit Recht haben. Aber das ist genau sein Problem. Offensichtlich sehen dies seine Trainerkollegen anders und sich selbst durchaus zu Höherem berufen. Anders wäre auch kaum nachzuvollziehen, warum einer wie Neururer ausgerechnet und noch dazu freiwillig in Bochum arbeitet. Für Fußballtrainer mag kein Unterschied zwischen Bochum und Bagdad bestehen – für Politiker schon!



Erschienen in Novo61/62, November 2002