Matthias Heitmann  Klartext

"Ausflug in die Welt der Fitnessirrtümer" (8/2004)

Ist Sport gesund? In der Regel schon. Jedoch ist die Liste der Ausnahmen, die diese Regel bestätigen, gesundheitsgefährdend lang. Nicht überall wo „Sport“ und „Fit“ draufsteht, ist Gesundheit drin. Der Boom der Fitness- und Wellnessbranche sowie das allgemeine Streben nach Schönheit und Körpergefühl hat dazu geführt, dass sich unter die vielen sinnvollen Angebote und das hochwertige Wissen über Gesundheit auch Narreteien und Halbwahrheiten mischen. Daher sollte, wie im richtigen Leben, auch im Bereich Sport, Fitness und Gesundheit gelten: Hinterfragen kostet nichts, lohnt sich aber. Beispiele gefällig?



Mythos: Isotonische Getränke sichern beim Sport die Versorgung mit Mineralien.

Zu den so gut wie unumstößlichen Geboten der Fitnessgemeinde gehört es, während des Trainings nicht einfach nur Wasser zu trinken, sondern sich die besonders fitnessgerechten Isodrinks zu bestellen. Diese bestehen zumeist aus herkömmlicher Limonade, die mit Kochsalz, Magnesiumcarbonat und Kaliumphosphat versetzt wird.

Insofern versorgen diese Getränke den Körper in der Tat mit Zusatzstoffen. Die Frage lautet jedoch: Werden diese benötigt? Das Urteil der Deutschen Gesellschaft für Ernährung fällt eindeutig negativ aus: „Spezielle isotonische Getränke sind für den Breitensportler unnötig.“ Die Faktenlage ist eindeutig: Der hiesige Breitensportler leidet weder an Magensiumcarbonat-Mangel (er nimmt dies zur Genüge über das Trinkwasser, über Kakao, Kaugummis oder Streusalz auf), noch fehlem ihm Phosphatzusätze, im Gegenteil: Unser durchschnittliche Konsum von Schmelzkäse, Wurst oder Cola verabreicht uns größere Phosphatdosen, als uns lieb sein sollte. Auch der Glaube, Kalium und Magnesium könnten Muskelkrämpfen vorbeugen, ist eher ein frommer Wunsch als wissenschaftlich belegtes Wissen.

Das Geschäft mit den Energy- oder Isodrinks (was ein wenig medizinischer klingt) nimmt zuweilen zynische Züge an: So fragt man sich, was der völlig funktionsfreie Putzmittel-Rohstoff Taurin in hohe Dosen von bis zu 4 Gramm pro Liter in Aufputschbrause zu suchen hat. Wer seinen Körper zusätzlich mit Glucono-delate-Lacton versorgen will, könnte ebenso gut auf Backpulver zurückgreifen; seine körperliche Leistungskraft steigert er hierdurch jedoch nicht im geringsten.. Auch „verzweigtkettige Aminosäuren“ finden sich, auch wenn das Ganze sehr komplex gilt, in jeder Bohnesuppe.

Zwar bestehen gegen Isodrinks keine gesundheitlichen Bedenken; wer aber während oder nach dem Sport zu einem vernünftigen und angemessenen Getränk greifen möchte, ohne das Geld aus Tasche gezogen zu bekommen, kommt auch mit herkömmlichen Säften oder der guten alten Apfelsaftschorle durch.


Mythos: Im Ausdauersport ist das Verletzungsrisiko geringer.

Natürlich wirken Sportarten wie Hand- oder Fußball auf den ersten Blick gefährlicher als Marathonlaufen, weil es zu Körperkontakt und zu schnellen Bewegungen kommt. Tatsächlich kann es hier zu Knochenbrüchen oder Gelenkverletzungen kommen, die nicht selten chronische Folgen haben.

Aber sind Ausdauersportarten wirklich risikoärmer? Nein, lediglich die Art der Verletzungen ist anders. Viele Ausdauersportarten belasten den Körper einseitig und unausgewogen. Läufer und Jogger belasten ihre Fuß- und Kniegelenke über die Maßen (so tragen die Füße eines 75 Kilo schweren Läufers auf einem Kilometer insgesamt 276.000 kg Gewicht), während Arme und Schultern unbelastet bleiben. Die Folge: Anstelle von akuten Verletzungen und Schädigungen sind im Ausdauersport Überbelastungsverletzungen weit verbreitet. Sie reichen von Überreizungen von Sehnen und Gelenken über Schleimbeutelentzündungen bis hin zu Haarrissen und Ermüdungsbrüchen. Das Problematische an diesen Verletzungen: Sie entstehen „schleichend“, und die Schmerzsignale werden oft zu lange ignoriert oder falsch interpretiert, weshalb sie auch in vielen Statistiken zur Erhebung von Verletzungsrisiken unter den Tisch fallen.


Mythos: Sport macht schlank.

Wer sich viel bewegt, verbraucht viel Energie. Energie, die der Körper in der Regel in Form von Fettpölsterchen hortet. Demnach, so die verbreitete Ansicht, fördert Sport den Abbau dieser unbeliebten Speicher und damit die Reduktion des Körpergewichts. So logisch diese Gleichung klingt, so falsch ist sie auch. Denn der bewegte menschliche Körper funktioniert nach genau den Regeln, die auch herkömmliche Diäten scheitern lassen: Er legt Reserven für schlechte Zeiten an, und er hält lange an ihnen fest. Ein einmal erreichtes Gewicht wird vehement verteidigt, dies mit allen Mitteln, etwa durch die Steigerung des Appetits oder sogar durch Fressanfälle, und, wenn dies nichts nutzt, durch Energiesparprogramme (Senkung der Körpertemperatur, Dämpfung der Bewegungsfreude) Trainingsprogramme für Übergewichtige gehen daher oft ins Leere.

Erschwerend hinzu kommt, dass der Körper bestrebt ist, den Energie-Akku nach dem Ende der „Dürre“ möglichst schnell wieder aufzuladen, wenn die Zeiten besser werden. Dies ist auch der Grund, warum viele Sportler nach der intensiven Trainingseinheit ein ebenso intensives Hungergefühl verspüren. Der körpereigenen Logik folgend zu Recht: Woher soll unser Organismus wissen, dass der Abbau des Energiespeichers gewollt und nicht Folge einer Hungersnot war?


Weitere Fitnessirrtümer finden Sie hier:


Pollmer, Udo; Warmuth, Susanne; Frank, Gunter: Lexikon der Fitnessirrtümer. Missverständnisse, Fehlinterpretationen und Haltwahrheiten von Aerobic bis Zerrung., Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2003.