Matthias Heitmann  Klartext

„EXPO 2000: Die stumpfe Klinge einer dumpfen Kritik“

- über Anti-EXPO-Aktivisten, die eine Weltausstellung kritisieren, die es so leider überhaupt nicht gibt


So wenig Aufregung die EXPO im Vorfeld entfachte, so wenig Enthusiasmus konnten auch die EXPO-Gegner ihr entgegensetzen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Zum einen offenbart ein Blick in die einschlägigen Webseiten und Diskussionsforen, dass die EXPO für ihre radikalen Kritiker lediglich ein Anlass ist, einer toten politischen Szene Leben einzuhauchen. Zum anderen aber richten sich deren Proteste inhaltlich gegen eine EXPO, die es überhaupt nicht gibt. Denn von technikverliebtem Größenwahn und einer fortschrittsgläubigen „Vorwärts-in-die-Zukunft-Party“ ist in Hannover nicht viel zu sehen. Tenor und Ausrichtung der Weltausstellung besagen eher das Gegenteil.


EXPO? Dagegen!


Beim Lesen der Statements des EXPO-Widerstandes sticht die Abgehobenheit und Realitätsferne ins Auge. Die Leute zeigen sich zwar geschäftig wie lange nicht (zahlreiche eMail-Verteiler, Aufrufe zu Vorbereitungstreffen und Seminare zur „Direkten Aktion“ zeugen von großer Aktivität), sie stoßen jedoch offenbar auf wenig Resonanz. Mit der politischen Wirklichkeit des Hier und Jetzt haben sie zudem wenig am Hut: Zu sehr ist man anscheinend mit sich selbst und dem Mobilisieren für große Aktionen beschäftigt, als dass man noch Zeit fände, sich das sogenannte „Deppengeschwätz“ der EXPO-Organisatoren genauer anzusehen. Die Weltausstellung erscheint wohl vielen Geistern, darunter zahlreiche Ökofanatiker und Überbleibsel der alten „Linken“, als einsame Chance, sich selbst wiederzufinden, zu bündeln und zu stärken. Dies unterstreicht der Aufruf „EXPO 2000 – No! Stoppt die schöne neue Technikwelt!“:


„Die Expo ist aber nicht nur etwas abstossend Ekliges, sondern aus verschiedenen Gründen die wahrscheinlich beste Gelegenheit, einen Aufbau gesellschaftlicher Gegenbewegung... zu versuchen.“


Auf dem vierten Bundestreffen des Anti-EXPO-Widerstandes im November 1999 in Bielefeld wurde entsprechend Tacheles geredet: Taktische Debatten darüber, wie etwa die deutsche Antifa- und Lesben-Bewegung für Proteste gegen die EXPO zu gewinnen und die Unfähigkeit der „radikalpolitischen Landschaft der BRD, Analyse und Theorie in Praxis umzusetzen“ sei, dominierten. Auch die Einladung zu einem Anti-EXPO-Südtreffen unterstrich die Bedeutung der Weltausstellung in Hannover als Versuch der Wiederbelebung: Sie sei Thema „für jede Gruppierung, die sich mit der herrschenden Weltordnung nicht abfinden will, egal ob ihr Schwerpunkt sonst eher bei Antifa-, Ökologie-, Anti-AKW-, Frauen-, Anti-Rassismus-, Anti-imperalistischer oder sonstiger Arbeit liegt“. Unter dem verzweifelt anmutenden Titel „Keine EXPO nie nicht nirgends!“ wurden Hoffnungen und Befürchtungen formuliert:


„Diesem Spektakel inhaltlich etwas entgegenzusetzen, wird sicherlich nicht leicht werden... Über den Prozess der Demaskierung [der EXPO] erhoffen wir, zu einer neuen Orientierung der Linken zu kommen. Ohne den Eindruck zu erwecken, dass die EXPO eine langersehnte Gelegenheit ist, denken wir doch, dass sich die EXPO aufgrund ihres allumfassenden Anspruchs anbietet, daran eine Neuorientierung festzumachen... Dazu müssen Diskussionen beginnen, die ... der mitunter mangelnden Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen entgegenwirken“.


Dem bleibt wenig hinzuzufügen. Was bleibt, ist der hartnäckige Eindruck, dass man auf Seiten der Gegner vor allem froh darüber ist, mit der EXPO eine neue kurze Daseinsberechtigung gefunden zu haben.


Ideologieschau des Kapitalismus?


Der selbst diagnostizierte Mangel an Auseinandersetzung mit der Realität schlägt sich in den abenteuerlichen bis weltfremden Aussagen der EXPO-Gegner nieder. Obwohl in den Ausstellungshallen allerorts das nachhaltige „Weniger-ist-Mehr“ propagiert wird, prangern ihre Kritiker das „Höher-schneller-weiter“ an. Das Sammelsurium kritischer Kommentare zur EXPO verwundert und irritiert zugleich: Es handele sich bei der Weltausstellung angeblich um eine Werbeausstellung „für eine verschärfte Ausbeutung von Mensch und Natur“, ist beispielsweise zu lesen. Und das, obwohl sich das Motto „Mensch-Natur-Technik“ mit der Losung des Umweltgipfels in Rio von 1992 deckt, den viele NGOs einst als politischen Durchbruch feierten. Aber dass Umweltschutzpositionen einen prominenten Platz im EXPO-Wertekatalog einnehmen, gilt den Kritikern lediglich als „ökologisches Feigenblatt“ des Imperialismus, das „sei wie Nistkastenaufhängen am Atomkraftwerk“.

Unter dem Titel „Die zarteste Versuchung, seit es Neoliberalismus gibt“, legt ein Kritiker den Finger in die vermeintliche Wunde: Die EXPO habe das Ziel, „Fortschrittsglauben zu verbreiten und ein Identifikation mit dem herrschenden Kulturverständnis zu fördern“. Die Frage, wie die rückwärtsgerichtete Ausrichtung der EXPO auf Ressourcenschonung, Schöpfungsbewahrung und Nachhaltigkeit mit einem neoliberalen Weltbild in Einklang zu bringen sei, bleibt jedoch offen.


Fortschritt ist neoliberal ist „bäh“!


Was in den Protestkreisen „neoliberal“ bedeutet, formuliert Jörg Bergstedt, einer der rührigsten Internet-Aktivisten gegen die EXPO, im Aufruf „Widerstand gegen die neoliberale Weltordnung“:


„Der Mensch wird nach seiner Verwertbarkeit eingestuft. Ernährung ist als Energiequelle nötig. Bildung dient der Qualifizierung für den Arbeits=Verwertungsmarkt. Medizin dient der Erhaltung der Arbeitskraft und der Konsumfähigkeit... Nicht anders ist der Umgang mit der nichtmenschlichen Natur: Tiere, Pflanzen und die Lebensgrundlagen wie Boden, Wasser, Luft, Rohstoffe usw. werden maximal verwertet. Effizienz dient der Steigerung des Profits und der Verlängerung der Ausbeutbarkeit.“


Früher sprachen sich gesellschaftskritische Denker für ein besseres Leben, mehr Wohlstand und somit auch für technologische Entwicklung aus. Das hat sich mittlerweile ins Gegenteil verkehrt. Was in solchen Statements der EXPO-Kritiker zum Ausdruck kommt, ist ein bedenkliches geistiges Klima, das das Denken immer größerer Teile der Gesellschaft dominiert: Die Errungenschaften der Menschen im letzten Jahrhundert werden mit dem Verweis, sie seien allesamt integraler Bestandteil des ausbeuterischen Kapitalismus und Imperialismus, abgelehnt und somit entwertet. Wissenschaftlicher Fortschritt zum Wohle der Menschen wie medizinische Innovationen werden mit dem Schimpfwort „Neoliberalismus“ gebrandmarkt und als angebliches Indiz dafür präsentiert, dass der Mensch „in diesem Weltbild keine Rolle mehr“ spielt.

Kein Wunder, dass den EXPO-Kritikern die grundlegenden Veränderungen im „Weltbild der Herrschenden“ – deren wachsende Technikskepsis und das mangelnde Vertrauen in die Fortschrittsfähigkeit und das Innovationspotential des Menschen – nicht gewahr werden. Die Weltausstellung ist kein „Schaufenster der industriellen Revolution“, und sie ist mitnichten die „Selbstinszenierung eines patriarchalen Technikfetischismus“. Sie betreibt im Gegenteil über weite Strecken eine kritische Bilanzierung des Industriezeitalters, betont Probleme und Scheinprobleme, unterbelichtet die Erfolge und Chancen und präsentiert letztlich nur etwas aufgepäppelte Varianten altbekannter Öko-Märchen.

Was die Zukunft angeht, liegen die Visionen der EXPO-Macher und ihrer Kritiker daher erstaunlich nahe beieinander: Beiden fehlt Elan und eine Vision für die Zukunft. Die Entwürfe der so verhassten „Herrschenden“ sind zumeist ebenso fad wie die der Kritiker und alles andere als fortschrittlich und schillernd. Unbeirrt jedoch salbadern die EXPO-Misepeter gegen die angeblich technikverherrlichende Propagandashow und demaskieren sich damit vor allem selber.

Die EXPO, so argumentiert etwa der Bund Deutscher PfadfinderInnen (BDP) in seiner Resolution, erwecke den Anschein, „Probleme der heutigen Gesellschaft lösen zu können und zu wollen.“ Ralf Strobach, Sprecher des Bundesverbandes Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) wirft den Ausstellungsmachern in seinem Buch zur EXPO Gigantomanie vor, sie propagierten die fixe Idee, gegen Umweltprobleme könnten „einfach neue Technologien“ helfen. Es scheint, als ob für Pfadfinder und Umweltaktivisten schon der Anspruch, Probleme lösen zu wollen, „imperialistisch“ ist. Da wirken selbst die auf der EXPO präsentierten Projekte wesentlich attraktiver. Die ausgeprägte Zukunftsangst der EXPO-Kritiker läßt keinen richtigen Schwung aufkommen und die neue „Bewegung“ in einer wertkonservativen und weltfremden Cybershow verharren. Doch von ihrem baldigen Abgesang sollte sich niemand blenden lassen. Das Problem sind heute weniger EXPO-Kritiker als die prominenten Protagonisten ihres rückschrittlichen Konzepts, demzufolge Mülltrennung, Energiesparlampen, Windräder und Ökosteuer die Menschheit voranbringen sollen.


(Novo47, Juli 2000)