Matthias Heitmann  Klartext

„Home-Well-Fit: Wohnst Du noch oder trainierst Du schon?“

- über die Kreuzung von Fitness- und Cocooning-Trend



Trendforscher konstatieren es seit den frühen 80er-Jahren: Immer mehr Menschen verlagern einen immer größeren Teil ihrer Tätigkeiten in die eigenen vier Wände. Dieser Trend beeinflusst das Reise- Freizeit- und Einrichtungsverhalten; nun kennt ihn auch das Arbeitsamt. Bezeichnet wird er als „Cocooning“ oder „Homing“. Aber es wird nicht zu Hause gearbeitet, es wird auch daheim Sport getrieben. Das passende Kunstwort dazu lautet: „Home-Well-Fit“.


Obgleich man es glauben könnte: Die neuen Angebote des Home-Fitness-Marktes wandeln ihr Wohnzimmer oder Büro nicht in eine unansehnliche „Muckibude“ um. „In“ sind kleine zusammenklappbare oder unscheinbare Geräte, oder aber noch besser: fitnessbewusste und gesundheits-intelligente Gebrauchsgegenstände, die das körperliche Wohlbefinden steigern, ohne dass man das Gefühl hat zu trainieren. Selbstverständlich sind auch noch die alte Sprossenwand, der klassische Hometrainer oder der unförmige Crosstrainer gefragt. Für Geräte dieser Art gibt es weder ein Wohnzimmerversteck noch eine Designer-Verkleidung. Aber viele andere Geräte sind inzwischen so flexibel, dass sie bequem unter die bequeme Fernsehcouch, in den Kleiderschrank oder in die Abstellkammer neben den Staubsauger passen.


Manche der modernen Fitnessgeräte ersetzen sogar herkömmliche Möbel: In Einrichtungshäusern gehören Massage-Sessel und ergonomisch geformte Büromöbel bereits zum Standard. Auch der Anblick von Sitzbällen in Großraumbüros ist nichts Verwunderliches mehr. Neu hingegen sind Geräte wie z.B. der „Swopper“. Hier sitzt man sich gesund: Auf einem Swopper sind sitzend Bewegungen in alle Richtungen möglich, die runde Sitzfläche hat weder Lehnen noch eine keine feste Stützstande, sondern ruht auf einer Feder, die horizontales und vertikales Schwingen verbindet und auch die individuelle Kontrolle dieser Bewegungen zulässt. So lassen sich bequem genau die Körperregionen trainieren bzw. entlasten, die ansonsten beim Sitzen am meisten leiden: die Rückenmuskulatur, die Bandscheiben, die Venen in den Beinen sowie alle Gelenke des Unterkörpers.


Da es beim Training überall und zu jeder Zeit nicht mehr um Bizepsumfang und den makellosen Waschbrettbauch, sondern um „Straffheit“, „Body Shaping“, „Work-Life-Balance“ und „Wohlgefühl“ geht, konnten die Geräte auch handlichere Formen entwickeln: Zum Training von Arm- und Oberkörpermuskulatur bedarf es daher keines Hantelbänkchens auf dem Balkon mehr. En vogue sind zur Zeit „GyroTwister“: Diese kugelförmigen Trainingsgeräte mit einem Durchmesse von ca. 7 cm wurden unter Verwendung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Bewegungstherapie entwickelt. Ein GyroTwister arbeitet nicht mit festen Gewichten bzw. Federn, sondern unter Ausnutzung des Kreiselkraftprinzips. Gyro-Twister besitzen im Inneren einen Rotor, der Fliehkräfte bis zu 15 kg aufbaut. Damit trainieren Sie nicht nur Arme und Handgelenke, sondern Sie bauen auch Ihre Greifkraft und Koordinationsfähigkeit aus. Der Gyro-Twister ist nicht nur für Sportler, sondern auch für Musiker und Personen, die täglich am Computer arbeiten, geeignet, das regelmäßige Training beugt Verspannungen vor. Hierfür müssen keine Möbel verschoben werden. Viele schwören auf den GyroTwister und behaupten, sie seien bereits „süchtig“ nach ihm.


Etabliert haben sich bereits die tragbaren elektronischen Fitnessgeräte. Sie operieren nach dem Motto: Nicht trainieren, sondern „trainiert werden“. Elektronische Muskelstimulatoren trainieren Bauchmuskeln, ohne dass der „Trainierte“ etwas dazu tun muss. Das „Training“ findet im Fernsehsessel, am Schreibtisch, im Auto oder beim Bügeln statt. Manche dieser Geräte können gezielt Muskelpartien stimulieren / trainieren, die ansonsten kaum beansprucht werden. Diese ursprünglich aus der Rehabilitationsmedizin stammenden Techniken sind jedoch nicht dazu geeignet, „sichtbare figurliche Erfolge“ zu produzieren. Wer seinen Körper „shapen“ will, muss ihn auch weiterhin selbst bewegen.


Gegen die „Home-Fitness“ spricht die Einsamkeit und die Gefahr, dass langfristig der innere Schweinehund jede Form von Disziplin zunichte macht. Aber auch hier gibt es Abhilfe: Immer mehr Fitnesstrainer spezialisieren sich auf das Personal Training zu Hause. Mit wenigen mitgebrachten Fitnessgeräten und ein paar Handgriffen wird aus dem Wohnzimmer ein kleines Studio, in dem unter professioneller Anleitung und zu entsprechenden Preisen trainiert wird.


Professionelle Fitnessstudios sind gezwungen, auf den Home-Well-Fit-Trend zu reagieren: Mit immer aufwändigeren Installationen kämpfen sie um Kundschaft, was wiederum das Fitnessangebot in den Studios erhöht. Für trendbewusste Fitnessfreunde ist ein Studio nur interessant, wenn es Sportangebote bietet, die nicht in den eigenen vier Wänden zu realisieren sind. „Aqua-Fitness“ ist eines Angebote, mit dem luxuriöse Studios Kunden zu binden versuchen. Doch auch hier wird die Home-Fitnessindustrie nicht lange mit Innovationen auf sich warten lassen: Schon heute lässt sich z.B. eine handelsübliche Badewanne mit Hilfe von „Badewannensprudlern“ in einen sauerstoff-prickelnden Whirlpool verwandeln, der das Badezimmer in ein „Wellness- und Wohnbad“ verwandelt. Die Frage wird also nicht sein, ob die Menschen auch in Zukunft Fitness und Wellness erleben, betreiben und genießen werden – die Frage lautet eher: Wo?


© Matthias Heitmann, 2003.