Matthias Heitmann  Klartext

A – Anti-Konsum-Tag

„Afrikanersein für einen Tag“


Keiner hat’s gemerkt, und dennoch war es so: Am Samstag, den 29. November 1997 fand weltweit der „Buy Nothing Day“, der „Anti-Konsum-Tag“, statt. Gelesen hatte ich es im grün-fatalistisch-korrekten Bild-Zeitungsersatz, dem Greenpeace-Magazin, und sogleich machte ich mich daran, mehr darüber zu erfahren.

Doch entsprechend des Geistes der angekündigten Aktion, einfach mal einen Tag auf Konsum zu verzichten, stellte sich heraus, daß es äußerst schwierig war, etwas über den „Anti-Konsum-Tag“ herauszufinden. Eigentlich logisch, daß es für einen solchen Aktionstag keinerlei Werbebroschüren oder Anzeigen geben kann und darf. Entweder, man weiß einfach, daß man an einem solchen Tag nichts kauft, und man weiß, wann ein solcher Tag ist, oder man ist schon blind und taub und blöd durch die ganze Einkauferei.

In meiner völligen Verzweiflung, als blind und taub und blöd gelten zu müssen, meldete ich mich schließlich beim Greenpeace-Magazin selbst, wo ich einen freundlichen jungen Mann an die Strippe bekam, der sich in einer Mischung aus Verdutztheit und Überforderung zum Thema äußerte. Frei nach dem Motto „Woher weiß dieser Mann vom Anti-Konsum-Tag?“ hatte er zunächst skepsisbeladen keine genauen Informationen parat, sprach aber voll des Lobes von der internationalen Bedeutung des „Buy-Nothing-Days“, der weltweit begangen würde.

Als er bei mir ernsthaftes Interesse witterte, gestand er dann folgendes: In Deutschland werde der Aktionstag völlig dezentral organisiert, sprich, lokale Gruppen machten eine Aktion, oder sie machten eben keine. Nein, zentral würde so etwas von Greenpeace nicht organisiert, man wolle den Leuten vor Ort ja nichts aufdrücken. Einen Aktionsplan gebe es demnach nicht. Nein, auch eine zentrale Koordinationsstelle sei nicht vorgesehen. Man arbeite eher so, daß die Leute, die etwas machen wollen, sich gefälligst bei Greenpeace melden sollen, wenn nicht, ist es aber auch in Ordnung.

Ich konnte das alles nicht glauben: Stell Dir vor, es ist Anti-Konsum-Tag, und keiner weiß es! Nein, sagte die nette Stimme am Telefon, die meine Erschütterung ob der beeindruckenden Neuigkeiten bemerkte und fast peinlich berührt immer wieder betonte, sie könne mir da leider nicht weiterhelfen, da sich von lokalen Gruppe niemand gemeldet habe, der eine Aktion mache. Vor drei Wochen hätten zwei Leute aus Köln angerufen und Material angefordert, von denen habe man aber nie wieder etwas gehört.

Nein, bei mir im Rhein-Main-Gebiet sehe es ganz schlecht aus, da habe sich niemand gemeldet, und auch die Ortsgruppen von Greenpeace hätten an dem Tag anderes vor. Sollte ich allerdings etwas, hören, sollte ich ihn sofort anrufen! So, so.

Dann plötzlich Blättergeraschel am anderen Ende, und die Stimme erhob sich: Hier in „Hamburch“ gebe es eine Aktion - Greenpeace plane, am 29. November den Greenpeace-Laden in der Innenstadt zu öffnen, aber nichts zu verkaufen und statt dessen Informationszettel zu verteilen. Ich rang nach Luft.

Nachdem ich mich beruhigt und das Material gesichtet hatte, daß mir die nette Stimme, offenbar besorgt um die Konsequenzen, die ihre Offenherzigkeit gegenüber dem unbekannten Journalisten haben könnte, hinterher gefaxt hatte, mußte ich eingestehen, daß ich die Welt nicht mehr verstand. Ein Blick in die angegebenen diversen Homepages zum Thema offenbarte, daß sich die internationale Anti-Konsum-Bewegung scheinbar nicht einmal einig darüber war, wann dieser weltbewegende Aktionstag stattfand. Während das Greenpeace-Magazin den 29. November vorschlug, schien in den USA der 28. November der Tag zu sein, der die Welt bewegen sollte.

Ich versuchte, klaren Kopf zu behalten und faßte zusammen:

  • Der Anti-Konsum-Tag ist so dezentral organisiert, daß niemand etwas vom anderen weiß.
  • Er findet an unterschiedlichen Tagen, dafür aber weltweit statt.
  • Die Resonanz ist bescheiden, und zu behaupten, die Dritte Welt nähme freiwillig am Anti-Konsum-Tag teil, ist zynisch.

Was will uns dies alles sagen? Greenpeace ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Vorbei sind die Shell-Zeiten, in denen die halbe Republik „dezentral“ der Öko-Religion frönte und Anti-Konsum-Tage an Tankstellen durchführte. Und ich muß ganz ehrlich sagen: Es ist gut so. Es gibt schon genug erfolgreiche Anti-Konsum-Aktivisten. Und sie konzentrieren ihre Aktionen nicht auf einen einzigen Tag, sondern verteilen sie auf das ganze Jahr, in dem sie monatliche Abgaben und Steuern eintreiben und die Löhne kürzen, um den Konsumrausch zu begrenzen. Wozu brauchen wir da noch Greenpeace?

Und so reiht sich schließlich der „Anti-Konsum-Tag“ nahtlos ein in die Reihe von Katastrophen und Weltuntergangsszenarien, die 1997 nicht stattgefunden haben. Doch davon mehr in der nächsten Ausgabe des „Politischen Wörterbuchs“.


(Novo32, Januar 1998)