Matthias Heitmann  Klartext

B – Biowetter

- Jedes Wetter gefährdet Ihre Gesundheit


Es war einmal eine Zeit, als der Wetterbericht nach den Nachrichten das einzige war, das - wenn man nur fest genug daran glaubte - klare Aussagen über die Aussichten des nächsten Tages bescheren konnte. Aussagen darüber, ob man nun einen Schirm braucht oder ob man sorglos das Haus verlassen kann. Am Ausklang des 20. Jahrhunderts ist der eigentliche Feind des Menschen nicht mehr der unzuverlässige Wetterbericht. Es ist vielmehr das Wetter selbst, bzw. eigentlich ist es der eigene menschliche Körper, der bei genauerer Betrachtung mit keiner einzigen Wetterlage mehr zurechtzukommen scheint. Dieser neue Kenntnisstand hat auch Veränderungen des Wetterberichtes bewirkt. Die langweilige, ewig gleiche Wetterpräsentation in strikt deutschen Landesgrenzen - Generationen von jungen Zuschauern hatten hierdurch schon im Kindesalter gelernt, daß Berlin entsprechend der damaligen tiefgefrorenen politischen Sichtweise im Zentrum eines zwar nicht existierenden, aber dennoch vereinten Deutschlands lag - gehört der Vergangenheit ebenso an wie lapidare Informationen per Windfähnchen oder Thermometerchen. Heute ist der Wetterbericht zu einer wahren Show geworden, bei der das eigentliche Wetter selbst nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Der moderne Wetterbericht trägt den totschlagenden Titel “Biowetter” und ist als solcher in kurzen Worten kaum mehr zu erklären. Mit “Bio” ist nämlich weder eine wissenschaftliche Analyse der Entstehung von Wirbelstürmen oder anderen Wetterphänomene, noch, wie ja auch vermutet werden könnte, eine Untersuchung der Wetterauswirkungen auf Flora und Fauna gemeint. Das Biowetter stellt statt dessen die durch das Wetter provozierten Wehwehchen, die uns den morgigen Tag verderben werden, ins Zentrum seiner Vorhersage. Und das dieser morgige Tag verdorben werden wird, daran besteht kein Zweifel! So wird aus dem Wetterbericht, der früher wenigstens ein paar Menschen in der Republik ein Wetter vorhersagte, über das sie sich freuen konnten, eine flächendeckende Gesundheitskrisenvorhersage, und dies Tag für Tag.


Beispiel gefällig? Ich empfehle zur Schulung am Objekt die extrem gut gelungene Variante der Biowetter-Vorhersage des TV-Boulevard-Magazins “Brisant”, aber auch andere Variationen sind möglich. Als Vorlage dient jeder beliebige Tag:


Die deutsche Wetterlandschaft wird zunächst in große Bereiche eingeteilt. Während die Menschen im Nordosten unter Tiefdruckgebieten und der sich daraus ergebenden allgemeinen schlechten Laune, bedingt durch Schlaffheit und Bluthochdruck, zu leiden haben, zu denen sich darüber hinaus auch noch aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit Rheumabeschwerden und Atemnot gesellen werden, kämpft man in Bayern mit ganz anderen Problemen: Hier scheint nämlich die Sonne! Der Bevölkerung wird das Tragen von Armbanduhren dringend angeraten, da sich bereits nach 15 Minuten schwerste Hautverbrennungen einstellen können, sofern kein Sun-Blocker zur Hand. Doch dabei bleibt es nicht: Die Hitze – allein schon ein willkommener Anlaß für Schwächeanfälle und Herzinfarkte – treibt überdies noch die Ozonwerte in die Höhe. Neben dem durch die trockene Luft und heiße Föhn-Winde geförderten Pollenflug ist diese Wetterkonstellation auch gerade für diejenigen Menschen gefährlich, die sich rein äußerlich nicht betroffen zeigen, denn Hitze führt nach neuesten Erkenntnissen bei vielen zu gesteigerter Aktivität bis hin zu aggressivem und unkontrolliertem Verhalten in der Öffentlichkeit! Machen Sie also lieber langsam!


In Hessen wiederum leidet man unter beiden Wetterphänomenen zugleich. Das Land ist geteilt durch eine Wetterfront. Die heiße Luft aus Bayern trifft sich hier mit der Kaltluft aus Nordosten und sorgt für allgemeine Unruhe, es kommt zu einer drückenden Schwüle, und diese wird erst durch Gewitter mit kräftigen Temperaturstürzen abgelöst. Kreislaufbeschwerden sind nahezu unausweichlich, also kein Grund zur Entwarnung. Im Gegenteil. Sie sind außerdem auf jeden Fall falsch angezogen und werden zu leiden haben.

Wer sich am selben Tag, warum auch immer, ausgerechnet im Norden aufhält, erlebt sein blaues Wunder: Obwohl rein äußerlich alles in Ordnung ist, steht ein Wetterumschwung bevor. Alle Narbenträger werden es zu spüren bekommen. Starke Kopfschmerzen und Unwohlsein beflügeln die ohnehin um sich greifende Passivität, und das einzige, was sie tun können, ist: Langsam machen!


Abgesehen davon, daß es im äußersten Westen der Republik aufgrund der kalten Nächte höchstwahrscheinlich ist, daß Sie sich einen Schnupfen holen werden, laufen Sie aber auch tagsüber Gefahr, vom Wetter übermannt zu werden. Denn selbst wenn Sie dem Nebel trotzen und wetterfest gekleidet sind, sollten Sie wegen der hohen CO2-Werte im Smog keinen Schritt vor die Tür setzen.


Der Betrachter dieser Wettervorhersage irrt verzweifelt mit seinem Blick über die Landkarte, findet aber keinen Ausweg. Es gibt keinen Platz in diesem Land, wo man sich vor dem Wetter wirksam schützen kann. Auch Auswandern hat ja keinen Sinn, denn verläßt man die Landesgrenzen, lauert im Süden El Nino, im Norden das Ozonloch, im Osten die trockene und verpestete Kontinentalluft, die nicht gut für die Schleimhäute ist, und aus dem Westen flimmern fast täglich Bilder von spektakulären Wirbelstürmen über die Bildschirme. Das globale Dorf kennt eben keine wetterfreien Zonen. Was bleibt? Die eigenen vier Wände, vorausgesetzt, sie sind rauch- und asbestfrei! Was der derart wettergeplagte Opfermensch in so einer Welt überhaupt noch machen soll und kann, fragen Sie? Nun, zuerst einmal lautet die Devise: Langsam machen!


Aber ist die Frage so überhaupt richtig gestellt? Denn andererseits hat das Biowetter auch seine guten Seiten: Für uns Faulenzer und Looser sind endlich die Zeiten vorbei, in denen wir uns Gründe für unser Schluffigkeit krampfhaft aus den Fingern saugen mußten. Heute schalten wir den Fernseher an, und wo wir auch sind, bekommen wir unseren persönlichen Biowetterbericht frei Haus. “Damit wir auch morgen noch den Arsch nicht hochbekommen!”


(Novo33, März 1998)