Matthias Heitmann  Klartext

C – Common Sence

- Soll jeder seinen Müll selbst zur Deponie fahren?


An dieses Wörtchen werden wir uns wohl, wenn es um Politik geht, neu gewöhnen müssen. In seiner alten Bedeutung beschrieb es das Banale, das allseits Bekannte und Logische, um das nur wenig Aufhebens gemacht wurde, da es niemanden begeistern konnte. Inzwischen ist “Common Sense” so bedeutsam, daß Wahlkämpfe darüber geführt werden. Hierbei wird “Common Sense” mit einer Inhaltsflut beladen und aufgebläht, so daß immer weniger Wähler zwischen “Common Sense” und “Nonsense” unterscheiden können.


Besonders kurz vor Wahlen entwickeln die Apostel des “Common Sense” besondere Kreativität, den Wählern einen Cocktail aus “Common Non-Sense” zu mixen, der mehr als schummrig macht. Vielmehr betäubt er, und wenn man dann die Augen wieder aufmacht, sieht eine halb zurückgenommene Preiserhöhung plötzlich wie eine Preissenkung aus. So werden aus den abstrusesten politischen Scherzen und Schauergeschichten plötzlich reale Wahlkampfszenarien.


Hochkonjunktur haben die schwärzesten Scherze bekanntlich am 1. April. Zwar gibt es Zyniker, die behaupten, in Bonn sei immer der 1. April. Ich muß aber sagen, daß mich gerade dieser 1. April in der Tat tief ins Mark getroffen hat. Mir drängt sich die Frage auf, ob nicht wirklich eine Veraprilscherzisierung der Politik um sich greift.


Nichts Böses ahnend, saß ich am Morgen des 1. April beim Frühstück und schaute das “Morgenmagazin”. Mir als hauptberuflichem Konsumenten lagen hierbei besonders die Vebrauchertips am Herzen. Und dann das:

Vorgestellt wird das neue Innovationsprojekt der deutschen Müll- und Umweltindustrie: die “lila Tonne”. In sie - ein bierkastengroßes Behältnis - sollten alle Restmüllbestände, die nicht bedenkenlos in grüne, blaue, gelbe oder sonstige Spezialmülltonnen vor der Haustür geworfen werden können, entsorgt werden. “Common Sense”, dachte ich und wunderte mich lediglich über die Größe des neuartigen Gefäßes. Das Tolle an diesem Projekt sei aber nun, unterbreitete man mir, daß mit der Einführung der lila Tonne gleichzeitig die Müllabfuhr abgeschafft werden könne. Ich stutzte. Der Verbraucher selbst solle diese Tonne zur Mülldeponie bringen und dort, nach Qualitäts- und Gewichtskontrolle seines Restmülls, Geld gutgeschrieben bekommen, das ihm dann von der Müllsteuer abgezogen werde. Ich saß vor meinem Fernsehgerät und hoffte, entweder auf meine Erlösung durch den Herrgott, oder auf die Auflösung dieses Aprilscherzes.

Doch die blieb aus. Meine Schmerzen steigerten sich noch, als im Verlauf der Sendung zahlreiche interessierte Verbraucher Common-Sense-Fragen an den geladenen “Müllexperten” stellten. Ob nicht der Individualverkehr zur Deponie wiederum den Schadstoffausstoß erhöhe. Nein, denn die Idee sei es, daß die Müllproduzenten Fahrgemeinschaften bilden sollten. Dies würde nämlich zudem das Nachbarschaftsgefühl erhöhen. Ich faltete die Hände.


Dann aber eine ganz kluge Frage: Die Vergütung des Mülls an der Deponie bedeute ja, daß man mit mehr Müll mehr Geld verdienen könne, dies sei ja kontraproduktiv. Überdies müsse man dann seinen Müll, der ja Geldwert entspräche, vor Diebstahl schützen. Aber auch hier schmunzelte der Müllexperte nicht, sondern erklärte, einerseits werde der Müll ja genau überprüft, andererseits sei dies aber sowieso ausgeschlossen, denn in der Bevölkerung sei das Umweltbewußtsein mittlerweile so ausgeprägt, daß kaum einer auf diese hinterlistige Idee käme und sie vor seinem Nachbarn zu rechtfertigen wisse. Der sicherste Schutz vor Müllklau sei es natürlich, den Müll in der Wohnung aufzubewahren. Alles andere widerspräche ja dem Common Sense.


Und da war er wieder! Und obwohl sich die lila Tonne schließlich und endlich doch als Aprilscherz herausstellte, war ich für den Rest des Tages bedient. Zu real war dieser “Scherz”, und ich fühlte mich deutlich an den Wahlkampf erinnert. War da nicht was? Der böse Märzscherz der Bündnisgrünen, die Fünf von der Tankstelle, die anfangs von allen anderen Politikern als Nonsense abgetan wurden, es aber nur einige Tage dauerte, bis in allen Parteien Stimmen laut wurden, daß natürlich eine Benzinpreiserhöhung “Common Sense” sei, wenn auch nicht auf 5 DM, so doch auf 4,60 DM? Man mag mich ja als ewigen Skeptiker abtun, aber für mich ist die lila Tonne leider auch noch nicht vom Tisch...!


(Novo34, Mai 1998)