Matthias Heitmann  Klartext

D – Deutschball

- Sind Länderspiele gegen Terrorstaaten zukunftsfähig?


Das Sitzfleisch wurde hart strapaziert, aber nicht nur das: auch der Denkmuskel wurde während dieser Fußballweltmeisterschaft zuweilen auf harte Bewährungsproben gestellt. Aber zum Glück nimmt nicht jeder unsere Helden beim Wort. “Wir dürfen jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken”, riet einst Llloddamaddäus, hielt sich aber leider nicht dran und tat es trotzdem. Aber da ist er nicht allein. Sand in den Schädeln, so das er schon ins eigene Getriebe rieselt, scheint den Aktiven bei Amnesty International Kopfschmerzen zu bereiten. Vielleicht waren sie es, die ihren Generalsekretär Volkmar Deile dazu bewegten, sich vor der Fußballweltmeisterschaft weit aus dem Fenster zu lehnen und Ballast abzulassen. Der Deutsche Fußballbund und andere internationale Fußballverbände könnten sich “nicht einfach abschotten”, sondern müßten auf Menschenrechtsverletzungen in den Ländern der deutschen Gruppengegner hinweisen und dagegen protestieren. In einer Hinsicht verbindet Deile in der Tat viel mit der deutschen Auswahl: Beide wurden nicht von der Mehrheit der Deutschen aufgestellt. Doch dies nur am Rande.


Im Iran, so erklärte Deile im Deutschlandfunk, werde weiter gefoltert, die Serben überfielen täglich aufs neue die Albaner, und in den USA seien 1997 immerhin 74 Todesurteile vollstreckt worden. Die Liste der bösen Feinde, denen die DFB-Kicker auch nach Ansicht der “Gesellschaft für bedrohte Völker” den Trikottausch versagen sollten, ist schier unendlich: Jugoslawische Kriegsverbrecher, iranische Mullahs, Diktatoren aus Nigeria; hinzuzufügen wären fundamentalistische Königssöhne aus Saudi-Arabien und Marokko, Drogendealer aus Kolumbien, Schotten aus Schottland, Waljäger aus Japan, Froschschenkelfresser aus Frankreich... Allein schon angesichts dieser Konkurrenz war der Titelgewinn für die Deutschen Pflicht!.


“Das wird doch alles von den Medien hochsterilisiert!”, ließ sich Bruno Labbadia, einer der Nichtauserwählten des Bundes-Berti, zitieren. Er hat leicht reden, er war ja nicht dabei. Der kurz aufgeweckte Zuschauer hingegen fragte sich, was ausgerechnet unsere Fußballer zu den besten Botschaftern unserer Nation macht. Ist es der vom “Playboy” ermittelte Sex-Appeal, “den wo” der Jürgen Klinsmann hat? Oder ist es “der neue Trainer” von Oliver Bierhoffs Haar? Oder ist es das Angebot von Verona Feldbusch, die Trikots nach dem Spiel zu bügeln, das anspornt. Oder der Kasten Bier, den Berti spendiert “wenn Ihr trefft”?


“Oh je, seid Ihr sicher, ob wir da richtig sind?” Kliensis Kultfrage wird hängenbleiben. Andy Möller jedenfalls hatte von Anfang an “vom Feeling her ein gutes Gefühl”. Nicht so der abgestiegene und früh ausgeschiedene Österreicher Toni Polster: “Man hetzt die Leute auf mit Tatsachen, die nicht der Wahrheit entsprechen”, grantelte er, der immer noch nicht weiß, für wen er demnächst gegen den Ball treten soll. Vielleicht sollte er auch hier den Ratschlag von Möller entgegennehmen: “Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!”


Nicht aus Italien, sondern aus Sarajevo grüßte der ehemalige Bremer Sportreferent und Friedensengel von Mostar Hans Koschnik herüber. “In Sarajevo hätte man gejubelt, wenn die Deutschen gewonnen hätten”, haben sie aber nicht, zumindest nicht gegen die Serben-Kicker. Dennoch weiß er viel über die Fußballbegeisterung vom Ballkan zu erzählen. Im Fußball wie in der Politik: “Die Emotion wird auf dem Balkan größer geschrieben als die Ratio. Dies ist ein Problem, mit wir leben müssen.”


Derweil sieht B. Vogts die Situation äußerst klar und rational: “Die Breite an der Spitze ist dichter geworden, ja”. Das macht einen wahren Botschafter aus. Und wenn er am Ende resümierend sagt: “Kompliment an meine Mannschaft und meinen Dank an die Mediziner. Sie haben Unmenschliches geleistet”, dann können wir mit Stolz aus dem Fernsehsessel heraus in die Fangesänge einstimmen und in die böse Welt hinausrufen: “Steh a-a-auf, wenn Du Deu-tscher bist...!”


(Novo35, Juli 1998)