Matthias Heitmann  Klartext

I – Iiihhh!

- oder: Wer bleibt schon im Sommer in der Großstadt?


Tod durch Riesenpilz?

Magistrat startet Aufklärungskampagne nach tragischem Unfall mit Biotonne


Frankfurt. Seit Ostersamstag wird der kleine Kai K. aus Frankfurt-Sachsenhausen vermißt. Seit ihn seine Mutter am Samstag vormittag in den Hof schickte, um den Mülleimer auszuleeren, wurde er nicht mehr gesehen. Die Umweltpolizei geht davon aus, daß der fünfjährige Junge beim ruckartigen Öffnen der Biotonne von einem riesigen aggressiven Schimmelpilz gefressen wurde, der schon im Frühjahr zahlreiche Biotonnenbenutzer erschreckt und mit einer gelblich-grünen Säure bespuckt haben soll. Anwohnern zufolge soll schon in den Tagen zuvor ein merkwürdiges Grunzen und Schnauben aus der Tonne zu hören gewesen sein. Gerüchte besagen, daß die Pilze von Mitarbeitern der Frankfurter Abfallentsorgung Anfang Februar in den Biotonnen der Stadt ausgesetzt wurden.

Vertreter der Stadt nahmen zu diesen Gerüchten zwar nicht Stellung, bestätigten aber, daß die Biotonne seit ihrer Einführung Anfang dieses Jahres mittlerweile von immer mehr Menschen genutzt werde. Auch Naturschützer zeigten sich begeistert. So würden seit Ende März erstmals seit Jahren wieder vermehrt Schwärme von Obstfliegen in der Stadt gesichtet. Es seien sogar Verkehrsumleitungen notwendig geworden, da große Mengen von Raupen und Würmern zeitweise die Straßen unbefahrbar gemacht hätten. Zu deren Beseitigung wurden sogar die Straßenräumgeräte wieder in Betrieb genommen, mit denen früher in der Stadt die Straßen von Schnee geräumt wurden. „Toll, daß wir für die Fahrzeuge nun doch noch eine Verwendung gefunden haben“, freute sich Lagerarbeiter Willi G.

Daß sich aber sogar der seit langem ausgestorbene menschenfressende Riesen-Schimmelpilz wieder in den Metropolen niederlassen könnte, daran hatten nicht einmal Experten glauben wollen. Mit zunehmender Außentemperatur wachse der Pilz zunächst die Innenwände der Tonnen empor und bilde dann lange Fangarme aus, mit denen er in erster Linie nach Mülltonnenbenutzern greife, die an der Biotonne vorbeigingen, ohne etwas hineinzuwerfen.

Der tragische Fall des kleinen Jungen sei zwar „eine schreckliche humanitäre Katastrophe“, solle aber nach Mitteilung des Magistrats nicht zum Anlaß genommen werden, die Umweltaktion zu stoppen. Die Kriminalpolizei ermittelt derzeit, ob das aggressive Verhalten des Pilzes auf das Verhalten der Kindesmutter zurückzuführen sei, die nach Angaben von Augenzeugen des öfteren im Beisein des Kindes die Einführung der Biotonne als „Müll-Terror“ bezeichnet und mit dem Fuß mehrfach brutal gegen die Abfallbehälter getreten habe.

Auch die Stadt wurde nach dem Unfall aktiv: In Kindergärten und Schulen, aber auch mit großen Werbeplakaten wird Aufklärungsarbeit geleistet, um künftig das friedliche Zusammenleben von Mensch und Pilz in der Region zu sichern.

Zoologen haben zwischenzeitlich herausgefunden, daß regelmäßiges Füttern der Pilze deren Aggressivität mindere. Auch sei es für die Anwohner sehr leicht herauszufinden, ob der Pilz hungrig sei oder nicht: „Ständiger Nahrungsnachschub verbreite Landluft im Stadtviertel“, erläuterte ein Experte, sie sei „das beste Zeichen für das Wohlbefinden der Pilze, Mücken und Würmer“.

Auf die heißen Sommerwochen will der Magistrat die Bevölkerung gezielt vorbereiten. Ab Mai werden in allen Banken und Sparkassen Gesichtsmasken verkauft, die vor Insektenstichen, Pilzsporen und dem strengen Geruch schützen sollen. Der Erlös dieser Aktion werde wiederum „einem guten Zweck zugeführt“, versicherte ein Vertreter der Stadt. Im übrigen, ergänzte er, sei ohnehin ein Großteil der Stadtbevölkerung im Sommer in Urlaub, so daß „mit massenhaften Klagen von Anwohnern nicht zu rechnen“ sei.

Sie glauben das alles nicht? Dann werfen Sie doch mal einen Blick in ihre eigene Biotonne!


(Novo40, Mai 1999)