Matthias Heitmann  Klartext

K – Kurzsprech

- Verbrechdenk der Justizministerin HDG.


Prof. Dr. Herta Däubler-Gemlin hatte eine Idee: Schon seit Jahren hatte sich die gelernte Juristin durch den Dschungel undurchdringlicher und verschlungener Satzbauten und Wortschlingen zu schlagen. Ein Greuel waren ihr die Kompliziertheiten der deutschen Sprache, die sich in oft zeilenweisen Sätzen tröge und schwerfällig auf Papier ergießt und dem Redner die Luft nimmt. Immer wieder träumte sie davon, diesem Treiben ein Ende zu bereiten.

Nun ist die Justizministerin. Selbstverständlich ist eine Justizministerin nicht berechtigt, die Maximallänge deutscher Worte und Sätze festzulegen (sie ist unendlich). Und dennoch wagte sie einen Vorstoß: Ganz im Sinne ihres Finanzministerkollegen forderte sie kürzlich insbesondere Juristen auf, zukünftig von der Bildung bandwurmartiger Wortreihen Abstand zu nehmen. „Ökonomischer Umgang mit Sprache“ nannte sie das Projekt in der Hoffnung, daß im allgemeinen Spareifer auch dieser Ansatz auf Gegenliebe stoße. Aber nicht nur sparsamer sollte der Umgang mit den Zeilen sein, sondern er sollte den Menschen auch das Verstehen erleichtern. So sollten zusammengesetzte Worte möglichst wieder auseinandergesetzt werden, vorausgesetzt jedoch, man könne hierdurch Platz sparen. Andernfalls sollte man die Zusammensetzung beibehalten.

Doch Herta hatte sich dies nicht wirklich selbst ausgedacht! Sie hatte vielmehr an einem verregneten Abend nach dem Ende des Kalten Krieges in den Bücherschrank ihrer Kinder gegriffen und vorurteilsfrei in ein altes Buch hineingelesen. Dort war von „Neusprech“ die Rede und von „Minirecht“. Sie stutzte, denn damit war sie gemeint: Das Ministerium für Recht! Da war auch von Miniwahr und Minipax die Rede, und sie mußte lachen: Stell Dir vor, der Joschka als Minipax! Und wie aktuell das Buch war: Minipax hieß nicht nur Friedensministerium, sondern gleichzeitig auch Kriegsministerium. „Ja, ja, manchmal muß man halt...“ hörte sie sich leise zeremonieren. Dann las sie weiter. Das buch gefiel ihr.

Die Grammatik von „Neusprech“ faszinierte sie: Endlich mal eine einfache Art des Sprechens, noch dazu kurz und knapp und präzise. „Gutdenk“ war ein Wort, das ihr auffiel, und sie mochte es sehr, viel mehr als den Begriff „Undenk“. Ihr gefiel auch, daß es weder extreme noch Kraftausdrücke gab: Das Gegenteil von gut war „ungut“, die höchste Steigerung von kalt war „doppelpluskalt“. Richtig böse konnte man mit „Neusprech“ also nicht werden. Im Gegenteil: An einer Stelle des Buches heißt es: ‘Zum Schluß werden wir Gedankenverbrechen buchstäblich unmöglich gemacht haben, da es keine Worte mehr gibt, in denen man sie ausdrücken könnte.’ Toll, fand Herta, „Verbrechdenk“ löschen, das ist die Möglichkeit, zu einem zivilen Miteinander zu kommen. Und sie schrieb gleich den ganzen Satz auf.

Die meisten Worte, die sich Herta außerdem notierte, hatten nur zwei oder drei Silben, und auch die Sätze waren erstaunlich kurz. Sie paßten gut zum „Eicheln“, daß „Minifinanz“ verordnen wollte. „Gutdenkvoll“, sagte Herta laut und beschloß, fortan von ihrem Doppelnamen Abstand zu nehmen. HDG klingt wie JFK - dat is’ ok!, schrieb sie auf ihr Blatt. Anschließend schrieb sie auch noch „Engsoz“ und „GB“ auf, allerdings jeweils mit einem Fragezeichen, denn beim nächsten Treffen mit Tony Blair will sie ihn fragen, ob „Engsoz“ und „GB“ etwas mit England und New Labour zu tun haben. Klingt ja so.

Sie will aber auch den Gerhard fragen, ob er was weiß, und sie will ihm von „Neusprech“ erzählen und auch ein paar selbsterfundene Neusprech-Worte vorstellen und ihn fragen, ob er die Rechtschreibreform nicht doch noch nachbessern will. Und sie will beiden dieses Buch mit der hohen Zahl auf dem Umschlag mitbringen.


(Novo42, September 1999)