Matthias Heitmann  Klartext

N – Neue Frauen

- Sind wir nicht alle ein bisschen Ally Mc(De-)Beal?


Ally McBeal ist Single. Ally McBeal ist eine von uns. Als solche wird sie zumindest in den Medien und vom Publikum eingestuft. Zwar sei sie viel zu dünn, und das gefällt ja nicht so. Aber ansonsten verkörpert sie all das, was die post-feministische, selbstbewusste und berufstätige Frau dieser Jahrhundertwende hat bzw. nicht hat.


Ally ist Ende 20 und Anwältin. Sie arbeitet in einer erfolgreichen Kanzlei in Boston, hat ihr wohlgesonnenen Kolleginnen und Kollegen, kurz gesagt, sie ist da, wo ihre frauenbewegte Geschlechtsgenossinnen einst immer hin wollten: in der Öffentlichkeit, auf der Karriereleiter ganz oben und mitten drin im materiellem Wohlstand.


Und doch: Was Ally McBeal überhaupt zur Hauptfigur einer amerikanischen Fernsehserie mit Kultstatus macht, ist mitnichten ihre berufliche Erfolgsstory. Von Relevanz ist lediglich ihr privater Gemütszustand: Sie ist die Verkörperung des Unglücks. Warum? Wie gesagt, Ally ist Single und allein! Sie will einen Kerl, sie will geliebt werden, sie will Sex haben, sie will Kinder haben, und zwar alles zusammen und jetzt gleich. Oder? Zumindest in ihrer Traumwelt will sie das. Denn nur in dieser passiert das, was sie sich immer wünscht. So sehr träumt sie seit Jahren Tag um Tag (sie träumt ausschließlich tagsüber, am liebsten im Gerichtssaal) von ihrem Märchenprinzen, dass sie inzwischen eine äußerst konkrete Vorstellung von ihm hat: Er muss einfach der beste aller noch nicht geborenen Supermänner sein! Kein Wunder also, dass der arme Kerl außerhalb von Ally’s Kopf keine Überlebenschance hätte, wenn es ihn denn gäbe. Und wenn es einen gibt, der dem Ideal nahe kommt, passiert das, was alle befürchten und ja auch immer passiert: Ally will ihn so sehr, dass sie alles vermasselt, wie ein durchgedrehter Teenie, der vor lauter Aufregung von Wolke Sieben direkt in die Kläranlage plumpst.


Das reale Leben spielt in der Serie keine Rolle. Alles dreht sich um das Privatleben der beruflich avancierten Antihelden. Das berufliche, öffentliche Leben wird zur Plattform des Privaten. Die zivilrechtlichen Fälle, die in der Kanzlei anfallen und nebenbei fast alle gewonnen werden, dienen den Protagonisten samt und sonders als Bühne zur Auseinandersetzung mit ihrem privaten Dilemma. Die Zusammenstellung des Anwaltsteams ist symptomatisch:


Da ist zum einen der verklemmt-geniale Anwalt John mit dem passenden Nachnamen „Cage“, der auf ewig durch die Gitterstäbe seines Käfigs starren würde, wenn er nicht ab und an von der Anwältin Nell in das Leben da draußen gezerrt und auch mal vergewaltigt würde. Nell wäre die einzig halbwegs normale Frau in diesem Laden, wenn da nicht ihre unglückliche Kindheit als Sproß sich nicht liebender Eltern wäre.


Kanzleichef Fish verhungert derweil am ausgestreckten Finger seiner Angebeteten, der Powerfrau Ling, die es hasst zu schwitzen und Sex „wegen der Flecken auf dem Bettlaken“ verabscheut. Ihm dagegen steht es so sehr bis zum Hals, dass auch er in seinen Plädoyers vor dem Geschworenengericht keinen Satz ohne Sex und Penis herausbekommt.


Lediglich ein einziges – und auch noch verheiratetes – Paar huscht durch die Büroräume. Wie könnte es auch anders sei, läuft es bei ihnen nicht mehr so wie früher, zumal ER ausgerechnet auch noch Allys Jugendliebe ist.


Weil sich alle Handlungen permanent um die privaten Abgründen der Beteiligten herumschlängeln und das Alleinsein den Alltag prägt, geschieht etwas Sonderbares: Das allgemeine Leid schweißt zusammen. Die Kanzlei ist Zufluchtsort, einsames Schiff auf dem Ozean aufwühlender Gefühle und Gefängnis in einem. Zum Glück ist unten im Bürohaus eine Kneipe, so muss man nicht einmal das Haus verlassen, wenn man ausgeht. Da sich alles nur noch um unerfüllte Sehnsüchte und unglückliche Liebe dreht, lösen sich alle traditionellen Rollenverteilungen zwischen Mann und Frau auf. Unglück ist sächlich. Zentraler Schauplatz ist dementsprechend die von weiblichen und männlichen Unglücksträgern gemeinschaftlich genutzte Toilette. Hier muss man nicht Mann oder frau Frau sein, hier kann ich einfach nur ich selbst sein, und ich ist primär einsam und ungücklich.


Dass die Serie Ally McBeal von „Martini Flying Dinner“, einer von „Martini“ gecoachten Singlebörse, gesponsert wird, passt wie die Faust aufs Auge. Vielleicht macht ja aber auch Unglück glücklich, zumindest aber gibt es Anlass zu leiden, wenn es eigentlich keinen gibt. Und es vertreibt die einsamen Abende.


(Novo45, März 2000)