Matthias Heitmann  Klartext

O – Opferopferung

- „Aktion Sorgenkind“ heißt jetzt „Aktion Mensch“.


Vorsicht, gute Nachrichten!! Eine seit sage und schreibe 36 Jahren ihr Unwesen treibende Diskriminierungsorganisation ist endlich zur Vernunft gekommen. Millionenfaches Leid wurde über Dekaden hin verharmlost, Betroffene litten unter menschenunwürdiger Titulierung, doch diese fällt nun weg. Die Rede ist von der „Aktion Sorgenkind“. Seit dem 1. März heißt die bekannte Behindertenhilfe nun „Aktion Mensch“. Ist das nicht korrekt?


Schon Wum und Wendelin beeimerten sich im altehrwürdigen „Großen Preis“, während good old Wim Gelder für die „Aktion Sorgenkind“ sammelte. Diese „Sorgenkinder“ sollen sich in den letzten Jahren zunehmend an dieser Bezeichnung gestoßen haben. Erstens seien die meisten inzwischen erwachsen, schließlich würden ja auch Obdachlosenprojekte mit dem Geld gefördert, und zweitens hätten Behinderte nicht mehr Sorgen und daher auch nicht mehr Mitleid nötig als andere.


Ach so. Ist Ihnen schon einmal in den Sinn gekommen, dass Sie durch ihre jahrelangen Spenden an die Aktion Sorgenkind letztlich der Benachteiligung Behinderter Vorschub leisteten? Wussten Sie, dass Sie Behinderte mit einer Spende überhaupt erst zu Behinderten gemacht haben? Ohnehin sind ja neuerdings Spenden in Verruf geraten. Mit dieser Spende suggerierten Sie jedoch, dass diejenigen, denen ihre Spende gilt, Ihre Hilfe bräuchten, und das ist menschenunwürdige Diskriminierung. Die queren Slogans einiger Behinderten-Lobbygruppen haben Konjunktur: „Nicht der Querschnitt behindert den Gelähmten, sondern der Durchschnitt“ - gemeint waren diejenigen, die ihre Beine zum Laufen nicht in die Hand nehmen müssen. Behindert ist, wer andere so nennt.


Die Umbenennung in „Aktion Mensch“ soll im Gegensatz dazu eines deutlich machen: Wir alle sind im gleichen Maße hilfsbedürftig - zumindest aber ein bisschen BLUNA. „Mensch“ symbolisiert hierbei, wie zutreffend ein Feuilletonist der F.A.Z. kommentierte, „den größten gemeinsamen Nenner sozialen Engagements, den nahezu jeder Verein für sich reklamieren kann, gleich ob er sich der Opfer des Nationalsozialismus, entwurzelter Aussiedler oder misshandelter Frauen annimmt. Selbst Kunst- und Sportvereine könnten sich darauf berufen, dass es ihnen nicht minder um den Menschen geht. Und wie erst die politischen Parteien.“ Was nicht viel anderes bedeutet, als dass Mitglieder eines Schachvereins ebenso hilfsbedürftig sind wie Taubstumme, Aidskranke oder Sozialdemokraten. Hier öffnen sich interessante Perspektiven für Sozialstaat und Pflegeversicherung, aber auch für Parteiführungen.


Wir sollen also jetzt an die „Aktion Mensch“ spenden, dabei müssen wir aber aufpassen, dass wir uns nicht von der scheinbaren Beliebigkeit des Titels verunsichern lassen. Politisch korrekt weitergedacht, müsste als nächstes der Name „Amnesty International“ fallen. In Zeiten, in denen ein internationales Strafrecht mit Hilfe humanitärer Interventionen Verbrecher weltweit einfangen und vor den internationalen Kadi bringen soll, stellt das Reden von „Amnestie“ fast schon einen Verstoß gegen die Menschenrechte dar. Als Vorschlag möchte ich „Intervention International“ in die Runde werfen. Auch der Name „Greenpeace“ ist moralisch bedenklich, ignoriert er doch in eklatanter Weise die Lebensentwürfe nicht-grüner Lebewesen und erklärt Grizzlybären für vogelfrei. Gegenvorschläge stehen noch aus.


Ein kleiner Trost aber bleibt: Die „Aktion Mensch“ wird es – wenn auch vielleicht mit weniger Spenden – auch in Zukunft geben, und dass, obwohl sie sich in unserer ohnehin schon viel zu homozentristischen Welt unverblümt dem Menschen zuwendet. Und da sage noch einer, es gäbe keine guten Nachrichten.


(Novo46, Mai 2000)